By Kevin Frank
„Im eigenen Land sind die Amerikaner im Kampf gegen Steueroasen auch nicht so konsequent, wenn man an den Bundesstaat Delaware denkt.”
Wolfgang Schäuble, ehem. Bundesfinanzminister
Diese äußerst plakative Aussage seitens des damaligen Bundesfinanzministers Schäuble lässt im ersten Moment einige Überlegungen aufkommen. Eine der Dringendsten ist wohl, ob es sich bei diesem im Raum befindlichen Vorwurf um haltbare Fakten handelt oder nicht. Tatsache ist, dass der Bundesstaat Delaware, der mit seinen stattlichen 5133 km2 gerade einmal um die Hälfte größer als das Saarland ist, mehr registrierte Unternehmen beherbergt als Einwohner . Zu solchen namhaften Unternehmen zählen z.B. Google, Coca-Cola, aber auch deutsche Firmen wie Daimler. Diese in Delaware vorkommende Bandbreite an Spitzenfirmen ist insoweit erstaunlich, als das Erscheinungsbild des Staates nicht unbedingt dem einer großen Skylineregion wie New York City oder Chicago entspricht. Dabei ist das Phänomen leicht zu erklären: der überwiegende Teil aller gelisteten Corporates treten als Briefkastenfirma („letterbox-company“) auf. Bei dem Wort „Briefkastenfirma“ beginnen bei vielen Menschen die Alarmglocken zu läuten. Worte wie dubios, zwiespältig oder gar Steueroase, wie es der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble verlauten ließ, werden im Zuge dessen gerne genannt. Dabei ist die Richtung meist klar. Derartige Steueroasen werden nämlich gerne einmal am Ende der Welt verortet, beispielsweise in Panama oder auf den Fidschi-Inseln. Ein einzelner Bundesstaat an der Ostküste der Vereinigten Staaten wiederum passt nicht ins Bild und lässt vor allem die Fragen aufkommen, seit wann und warum gerade dort ein derartiges Eldorado der Unternehmensgründung entstanden ist, wie sich die rechtlichen Modalitäten äußern und ob Kritik aus dem Ausland an dieser Stelle berechtigt ist. Dies wird nun im Folgenden eruiert.
Geschichtlicher Hintergrund
Hier ist zunächst festzuhalten, dass den US-Amerikanern ein unitäres Gesellschaftsrecht – so wie man es aus Deutschland kennt – fremd ist. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Ausgangslage für die US-amerikanische Verfassung die ersten 13 Kolonien der jungen Staaten war. Diese haben sich vor allem durch ihre erkämpfte umfassende Souveränität hervorgetan und gaben im Laufe der Staatsentwicklung lediglich dann Kompetenzen an die bundesstaatliche Ebene ab, wenn dies als unumgängliche Notwendigkeit gesehen wurde. Dieses ambivalente Prozedere, was im anglo-amerikanischen Rechtskreis als delegated power bezeichnet wird, erstreckte sich u. a. auf das US-amerikanische Zivilrecht, was sich beispielsweise anhand des oben genannten – nicht einheitlich auf Bundesebene geregelten – Corporate Law (Gesellschaftsrecht) und des – auf Bundesebene kodifizierten – Admiralty Law (Seerecht) anschaulich erklären lässt. Wohingegen das Admiralty Law aufgrund der topografischen Unmöglichkeit, bspw. wegen nichtvorhandenen Meeresanbindungen, für viele Federal States im Alleingang schwierig umzusetzen wäre, ist das Corporate Law ein Rechtsgebiet, was in jedem Staat einzeln kodifiziert werden kann.
Im Zuge dieser souveränen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Staaten gab es in Delaware Ende des 19 Jh. ein strukturelles Umdenken im Bereich der Gründungsmodalitäten. Das sich in der Nähe des Staates Delaware befindliche New Jersey begann die Company Formation durch gesetzliche Veränderungen attraktiver zu machen, um das staatsinterne Unternehmertum voranzutreiben und die Staatskasse durch Konzessionseinnahmen (Franchise Tax) exorbitant aufzubessern. Von dieser Idee angetrieben, wurde eine kleine Gruppe an Gründern Ende der 1890er politisch aktiv. Dabei brachten sie in einem von ihnen in Gang gesetzten parlamentarischen Verfahren im Jahre 1899 das General Corporation Law auf den Weg. Auch wenn hierbei eigene Interessen der Gründer im Mittelpunkt standen, wurde mit diesem Gesetz ein derart gravierender Impuls gegeben, dass New Jersey bereits in den 1920er Jahren in Sachen Gründungsopportunismus verdrängt wurde. Die liberalen Züge im Bereich des Gesellschaftsrecht, die dort ihren Anfang nahmen, sind bis heute zu spüren.
Was macht den Staat Delaware so besonders?
Die Konzeption des Gesellschaftsrecht, welches man in Delaware vorfindet, brannte sich nicht nur im rechtlich-abstrakten Sinne in die Köpfe der Unternehmer ein, sondern etablierte auch auf internationaler, wirtschaftspolitischer Ebene einen Begriff. Der sogenannte Delaware – Effekt umfasst dabei das Streben nach der liberalsten Form des Unternehmensrecht: umso liberaler das Recht, umso höher die möglichen steuerlichen Einnahmen der dort ansässigen Leistungsträger. Insgesamt können vier Gründe ins Feld geführt werden, warum gerade Delaware so attraktiv für die meisten größeren Unternehmen ist. Der erste Grund ist das DGCL (Delaware General Corporation Law) an sich. Dieses Gesetzeswerk wird nicht nur alljährlich auf den neuesten Stand gebracht, sondern erhält seine Ergänzungen vor allem durch Wirtschafts- und Gesellschaftsrechtsexperten. Die Bandbreite dabei kann sich sehen lassen: rechtliche Komponenten wie eine Verminderung von Haftungsrisiken bezüglich der CEOs manifestierten sich nicht nur in Delaware als etablierter Rechtsgrundsatz, sondern motivierte Gesetzgeber anderer Federal States zur Nachahmung. Zudem kommt noch, dass die einzelnen Law Schools im Bereich Corporate Law vor allem auf das DGCL verweisen. Der zweite Grund ist im formellen und praktischen Sinne zu finden. Sollte es nämlich zu einem Zivilprozess kommen, dürfen die Unternehmer darauf vertrauen, dass dieser beim Chancery Court von spezialisierten Richtern übernommen wird und in vielen Fällen eher firmenfreundlich entschieden wird. Anders als in anderen Bundesstaaten wird hier gerade keine Jury, die aus juristischen Laien zusammengesetzt wird, eingesetzt. Zu der richterlichen Expertise kommen noch Fachanwälte hinzu, die sich durch die Fülle der Unternehmensregistrierungen auf alle Eventualitäten vorbereiten konnten. Der dritte und vierte Aspekt umfasst einerseits die verwaltungstechnischen Vorteile und zum anderen die vermeintlichen Steuervorzüge, die aber im Nachgang gesondert betrachtet werden.
Wohingegen der verwaltungstechnische Apparat sich dadurch auszeichnet, dass Anträge und Registrierungen – im Gegensatz zu anderen Federal States – binnen Tagen bearbeitet werden , äußern sich die vieldiskutierten Steuervorzüge insgesamt als Trugschluss. Die zwei Steuerarten, die Unternehmen wenigstens zum Großteil betreffen, sind dabei die Corporate Income Tax und die Franchise Tax (Konzessionssteuer). Bei der erstgenannten Steuerart kann jedenfalls partiell ein Vorteil gesehen werden, wenn man sich die Corporate Income Tax in Delaware genauer ansieht. Der Gewinn aus immateriellen Gütern, so z.B. aus Patent- oder Urheberrechten, werden bspw. nicht besteuert und Gewinne, die in anderen Bundesstaaten generiert werden, fallen ebenso nicht unter die Körperschaftssteuerhoheit des Staates. Lediglich Gewinne mit materiellen Gütern, durch die vor Ort, sprich in Delaware selbst, ein Gewinn erzielt wird, werden zusätzlich zur (Federal) Corporate Income Tax noch mit einer innerstaatlichen Körperschaftssteuer von 8,7 % besteuert. Dabei ist insoweit ein Trugschluss festzustellen, da im Falle einer außerstaatlichen Gewinnerzielung trotzdem Körperschaftssteuern anfallen könnten, die im jeweiligen Bundesstaat beglichen werden müssen.
Kritik aus dem Ausland
Wie bereits oben in der Einleitung erwähnt wurde, ist „Gegenwind“ aus dem Ausland auch von hochrangigen Stimmen, wie die des ehem. Finanzministers Wolfgang Schäuble, zu vernehmen. Dies ist insoweit nicht verwunderlich, als auch in jüngster Vergangenheit von US-amerikanischer Seite wenig getan wurde, um dieses negativ konnotierte Bild zu verändern. Tatsächlich ist – wie dargestellt – eine differenzierte Betrachtungsweise geboten.
Der Autor:
Kevin Frank ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsches und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht (Prof. Dr. Max-Emanuel Geis) und Moot-Court-Koordinator an der FAU Erlangen-Nürnberg.
Responsible Editors:
Isabel Cagala, TLB Co-Editor-in-Chief
Prof. Karsten Schmid, TLB Editor-at-large